Dunja Sadaqi ist die neue ARD-Korrespondentin im Studio Rabat Jenseits von Afrika-Klischees
Seit 1. Oktober leitet Dunja Sadaqi das ARD-Studio Nordwestafrika. Die 31-Jährige war unter anderem Junior-Korrespondentin im hr-Landtagsstudio in Wiesbaden und hat den Podcast "Das F-Wort" mitentwickelt. Ihr neues Berichtsgebiet umfasst 21 Länder und jede Menge spannende Themen.
Geht mit der Position als Korrespondentin für Nordwestafrika für Sie ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung oder ist es einfach eine neue Karrierestufe?
Dunja Sadaqi: Mit der Arbeit in Rabat geht auf jeden Fall mein beruflicher Traum in Erfüllung. Marokko ist das Heimatland meines Vaters, mit dem ich deshalb schon persönlich viel verbinde. Ich habe das Studio 2011 das erste Mal privat besucht. Da war ich neu im Hessischen Rundfunk und hatte noch nicht viel Übung im Radiomachen. Nach dem Besuch im Studio wusste ich sofort: Das will ich machen!
Sie kennen Marokko bereits sehr gut. Welche besonderen Herausforderungen erwarten Sie dort im Job?
Das Studio Nordwestafrika umfasst 21 Länder. Ich habe noch nicht alle bereist und freue mich besonders darauf, Westafrika besser kennenzulernen. In meinem Berichtsgebiet leben Millionen Menschen mit unterschiedlichen Religionen, Sprachen, Gebräuchen und Kulturen in verschiedenen politischen Systemen und komplexen Konflikten. Da kann einem schon einmal der Kopf schwirren.
Wie behält man da den Überblick? Wie wird man in der Berichterstattung den Länder und Menschen auch gerecht?
Die Fragen könnte man sogar noch erweitern: Wie schafft man Berichterstattung jenseits von Klischees und Stereotypen und auch abseits von Konflikten, Terror und Migration – und das für die gesamte ARD und Zuhörer*innen in Deutschland? Das ist eine große Herausforderung und Verantwortung. Dafür arbeiten wir in einem kleinen engagierten Team – Producer, Assistentin und bald ich – auch mit sogenannten Stringern vor Ort zusammen, die uns in der Recherche, aber auch beim Reisen unterstützen. Ich arbeite seit 2016 als Vertreterin für das Studio. Was ich schön finde: Ich lerne jedes Mal etwas Neues, langweilig wird es nie. Darauf kann ich mich auf jeden Fall einstellen. Gleichzeitig haben sich die Anforderungen an Journalist*innen geändert. Wer früher vielleicht lediglich Radioformate bedienen musste, erstellt heute außerdem noch Bewegtbild, schreibt Online-Texte und bedient soziale Medien. Das ist spannend.
Im Podcast "Das F-Wort" geht es um Frauenrechte und Gleichberechtigung. Sie scheuen den Begriff Feminismus nicht. Wie ist es in der Region, wo Sie nun arbeiten werden, um Frauenrechte bestellt und wird das thematisch eine besondere Rolle spielen?
In meinem Berichtsgebiet haben Frauen größtenteils nicht die gleichen Bürgerrechte wie Männer. Hinzu kommt, dass viele der Länder stark patriarchal geprägt sind und Frauen noch die klassische Rolle als Mutter und Ehefrau einzunehmen haben. Ein freies, selbstbestimmtes Leben ist für viele Mädchen und Frauen ein Privileg, das nur wenige teilen. Hinzu kommen Krisen und Konflikte, die gerade auch Frauen viel Gewalt aussetzen. Das geht von Beschneidung, Kinderehen bis hin zu (sexueller) Gewalt. Ein Sinnbild dafür ist zum Beispiel die Entführung der sogenannten Chibok-Girls, die weltweit für Aufsehen gesorgt hat. Die Terrormiliz Boko Haram hatte 2014 Hunderte Schülerinnen aus dem nigerianischen Dorf Chibok entführt, viele vergewaltigt und als Sklavinnen missbraucht. Gleichzeitig gibt es viele mutige Frauen (und Männer!) in der Region, die für Gleichberechtigung kämpfen. Die Frauen in Tunesien zum Beispiel haben maßgeblich dazu beigetragen, dass das Land nach der Revolution die modernste Verfassung der arabischen Welt hat. Ich finde, egal bei welchem Thema – Politik, Kultur, Entwicklung und Fortschritt: An afrikanischen Frauen geht kein Weg vorbei. Und es gibt viele Geschichten, die ich dazu erzählen möchte.
Welche kulturellen, kulinarischen und touristischen Highlights werden Sie besonders in den Fokus nehmen?
Was Kultur angeht, möchte ich schon seit Langem etwas über Nollywood machen. Das ist die nigerianischen Filmindustrie – vor Bollywood und Hollywood die größte der Welt! Ein riesen Publikum in Afrika und in der Diaspora schaut diese Filme. Warum? Weil sie eben ein anderes Bild von Afrikaner*innen zeigen. Weg von Exotik oder Stereotypen in Armut und Konflikt. Außerdem ist die Industrie spannend, weil deren Nollywood-Stars auch eine große Reichweite haben – zum Beispiel in sozialen Medien. Einige Stars werden von Politiker*innen für politische Kampagnen instrumentalisiert, eben weil sie wissen: Die haben Einfluss.
Kulinarisch gibt es so viel Auswahl – da kann ich ganz schwer auswählen. Was ich super finde: Auch Marokko ist wie Deutschland ein absolutes Brotland. Eine Mahlzeit ohne Brot geht nicht! Und es gibt so viele verschiedene Sorten – genau richtig für Brotverliebte. Und touristische Highlights? Da hat mein Berichtsgebiet natürlich viel zu bieten: wunderschöne Strände und Lagunen, Berge und Wüste, aufregende Städte wie Marrakesch oder Lagos (Nigeria) und und und ...
Nordafrika wird hierzulande in den Medien und in der Politik oft als Ursprungsregion Migration behandelt. Was kann Deutschland über die Maghreb-Staaten lernen, was erscheint Ihnen berichtenswert?
Ich habe festgestellt, wenn ich mich mit Menschen aus Deutschland unterhalte, herrscht oft noch ein sehr eindimensionales Bild über "Afrika" und die Menschen dort. Es werden viele Länder häufig in einen Topf geworfen, obwohl sie sozial, kulturell und politisch unterschiedlich ticken. Thematisch dominieren in den Köpfen Armut, Konflikte und Terror. Das ist aber nur eine Seite der Realität und wird der Region nicht gerecht. Ein paar Beispiele: Ghana hat das größte medizinische Drohnennetz der Welt und das erste Forschungslabor für Künstliche Intelligenz auf dem Kontinent. Marokko das größte Solarkraftwerk. Vor der westafrikanischen Küste liegen die wohl reichsten Fischgründe, gleichzeitig beherbergt meine Region die größte Trockenwüste der Welt – und die größte europäische Mülldeponie Westafrikas. Mein Berichtsgebiet ist so komplex, vielfältig und widersprüchlich. Und das möchte ich auch in meiner Berichterstattung darstellen.