Radrennen am 1. Mai Fünf Stunden lang Stimmen im Ohr
Am 1. Mai steht rund um Frankfurt das wichtigste deutsche Radrennen an. hr- und ARD-Kommentator Florian Naß erzählt im Interview, wie er sich vorbereitet, warum er beim Kommentieren am liebsten auf einer Kiste sitzt, und wieso der Gang zum Klo sein persönliches Rennen darstellt.
Mehrere Stunde live kommentieren – haben Sie dafür ein schönes, gemütliches Plätzchen oder wie können wir uns Ihren Arbeitsplatz am 1. Mai vorstellen?
Florian Naß: Am liebsten sitze ich eigentlich auf einer hohen Kiste ohne Lehne. Bei der Tour de France ist das tatsächlich so. Es muss nicht unbedingt bequem sein, ich brauche vor allem Platz, um mich beim Kommentieren zu bewegen. Am 1. Mai ist das etwas anders. Ich sitze während der exklusiven hr-Übertragung vor der Alten Oper im Freien, da ich zusätzlich auch die Moderation übernehme. Erst später wechsle ich dann in die Reporterkabine am Ziel, um einen direkten Blick auf die Strecke und den Schlusssprint zu haben. Mal sehen, vielleicht schnappe ich mir dann auch eine Kiste. Ich liebe Rituale.
Werden Sie inhaltllich unterstützt? Also, sitzt da jemand neben Ihnen und arbeitet Ihnen zu?
Florian Naß: Ich habe mit Matthias Schnapka aus Saarbrücken einen Fachmann an meiner Seite, der mich auch bei der Tour de France unterstützt. Er macht die "schnelle" Recherche, wenn ein eher unbekannter Fahrer an der Spitze fährt. Zudem hilft er, den Überblick zu behalten, wenn sich neue Rennkonstellationen ergeben und aktualisiert die Liste der ausgeschiedenen Fahrer. Auch das Vorsortieren von Zuschauerfragen läuft über ihn.
Und generell – wie bereiten Sie sich vor? Ab wann beginnen die Vorbereitungen?
Florian Naß: Da die Radsportsaison von Januar bis Oktober andauert, darf man nie erst vor einem Rennen mit der Vorbereitung beginnen. Ich habe immer ein Auge auf die wichtigsten Veranstaltungen oder die Wechsel von Fahrern zu anderen Mannschaften. Es geht dabei auch um die Kontaktpflege zu den Profis wie John Degenkolb oder zu den Teams. Was den 1. Mai konkret angeht, beginnt die heiße Phase der Vorbereitung Mitte April.
Live-Kommentatoren dürfen ja auch mal "schweigen und die Bilder" wirken lassen, oder? Gibt es eine Sekunden-Faustregel, wann Sie wieder etwas sagen müssen?
Florian Naß: Dafür muss man ein Gespür entwickeln. Es geht ja nicht nur um zu viel oder zu wenig. Es geht auch um Emotionalität an der passenden Stelle oder um die Ruhe in der Stimme, wenn es angebracht ist. Auf der anderen Seite gibt es aber auch die Rückmeldungen der Redakteure im Ü-Wagen. Sie dürfen und müssen mir unbedingt ein Feedback geben. Man darf auch nicht vergessen: Ich kommentiere nicht nur, sondern habe zwischendurch auch Gäste am Mikrofon. In diesem Jahr begleitet mich im hr-fernsehen zudem Tobi Kämmerer, worüber ich mich sehr freue und in der ARD der Ex-Profi Jens Voigt. Auf meinen Ohren spielt sich eine Menge ab. Sich selbst und den Gast hören, die Anregungen und Hinweise aus Redaktion und Regie entgegennehmen und dazu permanent den Tour-Funk von der Strecke abhören, über den alle relevanten Dinge wie Stürze, Zeitabstände und vieles mehr kommuniziert werden. Auf Deutsch und Englisch. Dagegen ist die Kommentierung eines Handballspiels die reinste Ruhephase.
Gibt es im Nachhinein eine "Manöverkritik"? Wenn ja, wie muss man sich die vorstellen?
Florian Naß: Es gibt zum einen die direkte Nachbesprechung direkt nach der Sendung. Aber ehrlich gesagt, möchte ich dann lieber alleine sein. Fünf Stunden live sind intensiv. Kurz nach dem 1. Mai machen wir eine gemeinsame Runde mit der Technik, da fließt dann alles mit ein. Von großer Bedeutung sind mir die Rückmeldungen der Zuschauer, Fragen und Anmerkungen beantworte ich selbstverständlich.
Und dann natürlich die Frage: Wer wird gewinnen? Und was können wir vom Lokalmatadoren John Degenkolb erwarten?
Florian Naß: Der Norweger Alexander Kristoff hat die letzten vier Auflagen allesamt gewonnen und er ist aktuell auch in guter Form. Aber er hat starke Konkurrenz, sowohl international, als auch von deutscher Seite. Und dazu gehört natürlich auch John Degenkolb. Er hat 2011 mit seinem Sieg an der Alten Oper seinen Durchbruch geschafft. Auf meiner persönlichen Favoritenliste stehen diesmal mindestens fünf Namen. Das Rennen ist in diesem Jahr überragend besetzt.
Letzte Frage – Sie kommentieren über mehrere Stunden live, sind aber auch nur eine Mensch. Was machen Sie, wenn Sie aufs Klo müssen? Haben Sie dann "Vorfahrt" vor den anderen Kollegen?
Bei der Tour warte ich dann die Unterbrechungen durch Tagesschau und Werbung ab (lacht). Die gibt es aber im hr-fernsehen nicht. Also nutze ich die Zeit der "Zusammenfassungen des bisherigen Renngeschehens", die Heiko Neumann kommentiert, um schnell zum Klo zu sprinten. Nach 90 Sekunden muss ich wieder am Platz sein. Das ist mein ganz persönliches Rennen am 1. Mai.