Zungenbrecher leicht gemacht Die ARD-Aussprachedatenbank wird 20
Von Anfang an befand sich die ARD-Aussprachedatenbank in der Obhut des hr – und Roland Heinemanns. Der Sprachenliebhaber hilft Sprechern über schwierige Begriffe hinweg. Im Mai feierte die Aussprachedatenbank ihren zwanzigsten Geburtstag.
Ein Sportjournalist in der Krise. Gleich soll er bei den Olympischen Spielen das Finale im 100-Meter-Schwimmen kommentieren. Einer der Favoriten trägt den Namen "Lochte". Wie um Himmels Willen, denkt sich der Journalist, soll ich diesen Namen aussprechen? Er hat nur noch wenige Minuten, bevor er live auf Sendung ist. Was tun? Er erinnert sich: die ARD-Aussprachedatenbank. Ob sie den Namen gespeichert hat? Nach einer kurzen Recherche weiß der Verzweifelte: sie hat. Er klickt auf die empfohlene Aussprache, hört "Lokkti" und legt los: "Der Startschuss. Und Lokkti liegt vorne, lässt sich dieses Rennen nicht nehmen, und Lokkti gewinnt." Das ist dem Journalist ein Kuss auf dem Computer wert. Er gilt der Datenbank.
Hüter der 380.000 gesprochenen Worte
Roland Heinemann lacht: "Das sieht man gern." Der Hüter der 380.000 gesprochenen Worte wendet sich von seinem Bildschirm ab, auf dem er gerade den Trailer "Lochti oder Lokkti? Die ARD-Aussprachedatenbank hilft weiter." verfolgt hat. "Der Trailer soll die Funktion und Effektivität unserer Datenbank veranschaulichen. Er weist aber auch darauf hin: Wir blicken in die Zukunft." Bei Olympischen Spielen überprüfen der Redaktionsleiter und seine Mitarbeiter schon im Vorfeld die Aussprache jedes einzelnen Namens. Eine Fleißarbeit, die für das Team Alltag ist. Die Datenbank muss aktuell sein. Großereignisse sind da noch das einfachste. Ständig durchsuchen Heinemann & Co. Agenturmeldungen und Nachrichten auf unbekannte Begriffe. Vor allem Personen- und Ortsnamen. Das Team reagiert aber auch auf Anfragen: Journalisten fragen nach einzelnen Worten oder die Datenbankler erhalten gleich ein ganzes Manuskript. Roland Heinemann erinnert sich: "Letztens lief auf ARTE eine Dokumentation über die kalifornischen Channel Islands. Bevor das Manuskript die Hände des Sprechers erreichte, mussten wir 48 Namen recherchieren."
Die Recherche des Teams gestaltet sich vielfältig. Oft hilft direkte Ansprache. Politiker und Künstler verraten persönlich, wie ihre Namen auszusprechen sind, Konsulate und wissenschaftliche Einrichtungen sprechen aufs Band, ebenso ARD-Auslandskorrespondenten. "Manchmal müssen wir uns aber tatsächlich bis zum Polizist, Pfarrer, Lehrer oder Ranger vor Ort durchkämpfen." Des Weiteren sind Bücher eine unschätzbare Quelle, ein Wälzer der UN etwa, in dem alle geografischen Namen phonetisch vermerkt sind. Schließlich stöbert das Team in Tonarchiven. "Die Hessen sagen gerne zum ehemaligen Zoodirektor Grzimek 'Tschimek'. Andere sagen 'Chimek'. In einem Interview sagte er aber einmal, dass sein Name ganz weich 'Gschimek' auszusprechen sei. Er legte Wert auf den polnischen Ursprung."
Roland Heinemann dreht sich wieder zu seinem Computer und aktiviert die Datenbank. Er schreibt kurz in die Maske, ein Klick und "Gschimek" ertönt. Nicht immer ist das Ergebnis eindeutig. Bei einigen fremdsprachigen Begriffen etwa gibt es eine empfohlene Variante, die dem Grundsatz folgt: "So original wie möglich und so deutsch wie nötig." Roland Heinemann demonstriert ein Beispiel: "Das südafrikanische Volk Xhosa klingt in der empfohlenen Variante 'Koza'. Im Original gehört aber noch ein Klicklaut davor. Das ist für deutsche Sprecher nicht zu schaffen." Der Vollständigkeit halber kann man sich auch noch das Original anhören. Bei deutschen Begriffen gibt es zuweilen regionale oder nationale Unterschiede. "Das Wort Giraffe sprechen die Österreicher tatsächlich Schi'iraffe' aus." Oder: "Der Ort Brunsbüttel wird in ganz Deutschland auf der zweiten Silbe betont, beim NDR aber auf der ersten."
Die "Artenvielfalt" der gesprochenen Sprache
Roland Heinemann liebt die "Artenvielfalt" der gesprochenen Sprache. Ebenso verspürt er einen Hang zu Geschichte und Struktur. Das machte ihn 1997 zu einem der Mitbegründer der Datenbank. "Ich kam aus der Praxis und wusste, was Sprecher brauchen." Noch heute verrät seine volle Stimme: Er war Moderator. Im Nachbarzimmer steht eine kleine, halboffene Kabine mit einem Mikrofon. Roland Heinemann setzt sich davor und beginnt, fremde Worte zu formulieren. "Türkische Begriffe sind seit Erdogan sehr gefragt." Insgesamt fügen er und sein Team der Datenbank jede Woche 200 bis 500 neue Worte hinzu. Die Arbeit zahlt sich aus: Aktuell nutzen die Datenbank nicht nur die Mitarbeiter der ARD, sondern auch die des ZDF, des ORF, SRF und RAI (Südtirol). Gewünscht wird sogar, sie für jeden zugänglich zu machen. Roland Heinemann: "Dann hätte auch keiner mehr eine Ausrede, wenn wieder einmal der isländische Vulkan Eyjafjallajökull ausbricht."