Backstage Hessenschau Was Hessen bewegt
Die "Hessenschau" ist die erfolgreichste Sendung im hr-fernsehen. Jeden Tag sind Reporterteams in ganz Hessen unterwegs, und in Frankfurt arbeitet die Redaktion hochkonzentriert auf die Hauptsendung um 19:30 Uhr zu. Ein Lauf gegen die Zeit.
Der Countdown läuft, es ist 12:30 Uhr. Noch sieben Stunden, dann geht die "Hessenschau" auf Sendung. Hat sich die Themenlage seit dem Morgen verändert? Um das herauszufinden, sitzt im Frankfurter Funkhaus die Hauptredaktion der Hessenschau zur Update-Konferenz zusammen, unter anderem sind auch die Außenredaktionen Wiesbaden, Kassel und Fulda, der Hörfunk, "Maintower" und "Tagesschau" per Telefonschalte dabei. Und tatsächlich: Die hessische FDP-Politikerin Nicola Beer will sich überraschend zum aktuellen Stand der Sondierungsgespräche der Jamaika-Koalition äußern. Eine Gelegenheit, das Thema auf Hessen herunterzubrechen. "Wir machen eine Schalte nach Berlin", entscheidet Julia Hurtzig, Chefin vom Dienst.
Damit das noch in die Sendung passt, wird ein anderer Beitrag gekippt und auf die Folgetage verschoben. Die Hessenschau darf nicht länger dauern als 28 Minuten, darüber behält Senderedakteurin Anna Knorr den Überblick: "Schließlich folgt um Punkt 19:57 Uhr und 50 Sekunden das Wetter und dann die Tagesschau – und die wird auf keinen Fall verschoben." Ist die Sendezeit bei der Hessenschau knapp geworden, können Insider das oft am Ende der Sendung erkennen, verrät Hessenschau-Moderatorin Kristin Gesang: "Dann sage ich nur noch schnell ‘Tschüss‘."
Verlässlich über die wichtigsten Themen aus ganz Hessen berichten
Seit die Hessenschau am 2. Januar 1961 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde, ist sie zum Flaggschiff des hr-fernsehens geworden. Das Erfolgsprinzip: verlässlich über die wichtigsten Themen aus ganz Hessen berichten. "Besonderes Gewicht haben die klassischen, relevanten Ereignisse mit hohem Nachrichtenwert, idealerweise ergänzt um Themen, die die Hessen interessieren und emotional bewegen", erläutert Hessenschau-Redaktionsleiter Frank Böhm.
Entsprechend sind auch die Hauptthemen der heutigen Sendung gewichtet: Es geht neben den Sondierungsgesprächen für die Jamaika-Koalition um die Siemens-Standortschließung in Offenbach. Bis zu 700 Jobs könnten deswegen in Hessen auf dem Spiel stehen. Emotional wird es zudem bei dem Beitrag über die Schafe im Odenwald, die womöglich von einem Wolf gerissen wurden.
Die Moderatorin geht jetzt erst einmal zum Grafiker. Die Standbilder, die bei der Ankündigung der einzelnen Beiträge hinter den Moderatoren zu sehen sind, sogenannte Stabis, müssen gestaltet werden. Sie können im virtuellen Studio ganz einfach hinter den Moderatoren eingeblendet werden. "Wie wäre es mit Fragezeichen in den Farben der Koalitionspartner?", schlägt Kristin Gesang vor. "Falls bis heute Abend wider Erwarten doch eine Entscheidung fällt, machen wir stattdessen Ausrufezeichen", scherzt Hurtzig.
Die Moderatorin zieht sich zurück in ihr Büro. Nachdem sie die Standbilder gesehen hat, schreibt sie dazu passend die Texte für die Anmoderation. Außerdem muss sie sich auf das Gespräch mit der FDP-Politikerin vorbereiten, bevor es in die Maske und dann ins virtuelle Studio zur Schalte geht.
Die 43-jährige Mutter von zwei Kindern mag die Herausforderungen, die die Arbeit als Moderatorin mit sich bringt: "Kein Tag ist wie der andere." Eines ihrer Highlights: die fünfzehnstündige Live-Moderation am 3. September 2017, als Frankfurt wegen der Entschärfung einer Weltkriegsbombe die größte Evakuierungsaktion in der Geschichte der Bundesrepublik erlebte. Auch der hr musste seine Frankfurter Studios räumen. "Den Tag werden wir nie vergessen", erinnert sich Gesang. "Da hat man gemerkt, dass wir auch unter größtem Druck gut funktionieren."
17 Uhr: Die Reporterin steht im Stau
Und auch heute kommt noch eine weitere Herausforderung auf Gesang zu: Ministerpräsident Volker Bouffier von der CDU hat sich ebenfalls bereit erklärt, sich zum Stand der Jamaika-Verhandlungen zu äußern. Jetzt hat die Moderatorin es eilig.
Es ist 17 Uhr, Hurtzigs Diensthandy klingelt. Die Reporterin mit dem Wolfbeitrag aus dem Odenwald steht im Stau. Damit die Redaktion das Material schon einmal sichten kann, hat sie es per Satellitenübertragung geschickt. Jetzt schaut die Chefin vom Dienst im Schneideraum vorbei, um einen anderen Reporter-Beitrag abzunehmen. "Ich bin sozusagen der erste Zuschauer – wenn ich etwas nicht verstehe, versteht es der Zuschauer auch nicht", erläutert Hurtzig. Andreas Hieke wartet schon auf sie und zeigt ihr sein bearbeitetes Videomaterial. Er war heute als Reporter bei der Demonstration der Siemens-Arbeiter in Offenbach vor Ort und hat von der Außenredaktion in Wiesbaden einen O-Ton von Wirtschaftsminister Tarek-Al Wazir zugeliefert bekommen. Julia Hurtzig ist mit Hiekes Beitrag zufrieden. Nur eine Änderung schlägt sie vor. "Das Zitat von Al-Wazir wirkt so abgehackt, schau mal, ob du das nicht an einer anderen Stelle schneidest und etwas länger machst." Hieke und die Cutterin machen sich ans Werk.
Wenige Meter entfernt sitzt das Social-Media-Team der Hessenschau. Der Beitrag über die Siemens-Mitarbeiter ist auch für sie interessant. "Sie leisten Widerstand: Die Siemens-Mitarbeiter in Offenbach wollen sich mit dem geplanten Kahlschlag des Technologiekonzerns nicht abfinden", schreibt die Redaktion bei Facebook. Dort hat die Sendung mittlerweile 146.000 Abonnenten. Außerdem informiert sie über die Hessenschau-App, den Kurznachrichtendienst Twitter und verbreitet auf Instagram Kurzvideos und Fotos. Umgekehrt nutzen Hessen auch die Möglichkeit, über die sozialen Netzwerke mit der Hessenschau in Kontakt zu treten. "Gerade hat uns eine Frau wegen katastrophaler Zustände auf einem Bauernhof angeschrieben", berichtet Social-Media-Redakteur Danijel Stanic. Ob das Thema für eine der nächsten Sendungen recherchiert wird, muss nun ein Planer entscheiden.
Währenddessen ist Kristin Gesang im virtuellen Studio angekommen. Es ist 18 Uhr, nach einigen technischen Schwierigkeiten steht jetzt auch die Schalte nach Berlin. Das Gesicht der FDP-Politikerin Nicola Beer flackert über die Bildschirme. Im Regieraum überprüfen die Techniker die Bild- und Tonqualität – jetzt passt alles. "Wir können anfangen."
19:29 Uhr. Die Schalte mit Beer und Bouffier ist im Kasten, alle Beiträge sind fertig, sogar der aus dem Odenwald hat es rechtzeitig geschafft. Kristin Gesang steht hinter dem Pult und blickt konzentriert in eine der drei Kameras. Nur noch wenige Sekunden, dann werden rund 460.000 Zuschauer das hr-fernsehen einschalten, um die Hessenschau zu sehen. Im Regieraum behält Senderedakteurin Anna Knorr die Zeit im Blick. 3, 2, 1, die Hessenschau geht auf Sendung: "Da sind wir wieder – herzlich willkommen zur Hessenschau", sagt Kristin Gesang und lächelt.