Gewaltdrohungen und Islamhass Das wissen wir über den Tatverdächtigen von Magdeburg
Immer wieder fiel er im Netz mit Islamhass und Drohungen auf. Mehrfach waren die Behörden vor dem Mann gewarnt worden, der nun in Magdeburg festgenommen wurde. Noch ist unklar, wie den Hinweisen nachgegangen wurde.
Am Morgen nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt mit mindestens fünf Toten, 40 Schwerstverletzten und 90 Schwerverletzten suchen Sicherheitsbehörden nach dem Motiv des mutmaßlichen Täters.
Zeitgleich mehren sich die Informationen über den 50-Jährigen. Nach Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung (SZ) war der Mann mehreren Behörden bekannt. Im Netz war er offenbar immer wieder mit Gewaltandrohungen aufgefallen.
- Fünf Tote, 200 Verletzte - Magdeburg trauert
Facharzt für Psychiatrie
Bei dem noch am Tatort Festgenommenen handelt es sich um einen 1974 in Saudi-Arabien geborenen Facharzt für Psychiatrie, der seit ein paar Jahren im Salzlandkreis in der Nähe von Magdeburg in einer Klinik gearbeitet haben soll.
Der Arbeitgeber des Mannes bestätigte, dass der Arzt seit 2020 für die Klinik im sogenannten Maßregelvollzug gearbeitet habe und seit Oktober im Urlaub sowie krankgeschrieben gewesen sei. Er soll seit 2006 in Deutschland gelebt, zunächst seine Facharztausbildung absolviert und erst rund zehn Jahre später einen Schutztitel erhalten haben.
- Was ist über den Anschlag in Magdeburg bekannt?
Rache für "Islamisierung"
Bereits Ende der 1990er-Jahre habe er sich vom Islam losgesagt, sich als Atheist bezeichnet und den Islam scharf kritisiert. So sagte es der Mann selbst, der als Flüchtlingsaktivist in der Öffentlichkeit aufgetreten war, 2019 der Frankfurter Rundschau in einem Interview.
Demnach sah der mutmaßliche Täter eine angebliche Islamisierung Deutschlands und kritisierte dafür in sozialen Medien deutsche Politik und Behörden. An diesen, so kündigte er mehrfach an, wolle er Rache nehmen. Er soll auch Behörden mit einer Vielzahl von Mails und Briefen beschäftigt haben.
Laut Ermittlerkreisen soll ein erster Drogentest nach der Festnahme positiv ausgefallen sein. Die Bild-Zeitung hatte zuerst darüber berichtet.
- "Es gab eine Reihe von Hinweisen auf den Täter"
Explizite Gewaltdrohungen
Wer die zahlreichen öffentlich einsehbaren Äußerungen des Mannes in sozialen Medien über mehrere Jahre hinweg nachverfolgt, findet auch explizite Gewaltdrohungen. Als Gefährder wurde der mutmaßliche Täter jedoch nicht eingestuft, auch als Extremist war er den Behörden nach Informationen aus Sicherheitskreisen nicht bekannt. Bei der Polizei sollen sich allerdings nach Informationen von WDR, NDR und SZ mehrfach Menschen wegen dieser Gewaltdrohungen gemeldet haben, auch in Magdeburg.
Auf einer Pressekonferenz am Samstagnachmittag erklärte der Direktor der Polizei Magdeburg, Tom-Oliver-Langhans, in der Vergangenheit sei eine Strafanzeige gegen den Tatverdächtigen aufgenommen worden. Es sei beabsichtigt gewesen, eine Gefährderansprache vorzunehmen. Warum es dazu nicht gekommen sei, sei Gegenstand der Ermittlungen.
Auch das Bundesamt für Migration hat im Spätsommer letzten Jahres einen Hinweis über seine Social-Media-Kanäle zu der mutmaßlich für den Anschlag verantwortlichen Person erhalten. Dieser, so erklärt es eine Sprecherin auf Anfrage, sei wie jeder andere der zahlreichen Hinweise auch, ernst genommen worden. "Da das Bundesamt keine Ermittlungsbehörde ist, wurde die hinweisgebende Person, wie in solchen Fällen üblich, direkt an die verantwortlichen Behörden verwiesen."
Zu 90 Tagessätzen zu je zehn Euro verurteilt
Nach Recherchen des ARD-Hauptstadtstudios soll der Mann bereits vor mehr als zehn Jahren auffällig gewesen sein. Aus Ermittlungskreisen hieß es, dass er 2013 vom Amtsgericht Rostock wegen der Androhung von Straftaten zu 90 Tagessätzen zu je zehn Euro verurteilt worden sei. Bei dem späteren Asylverfahren habe die Verurteilung aber nicht zu einer Ablehnung seines Antrags geführt.
Warnung auch aus Saudi-Arabien
Auch saudische Behörden sollen sich 2023 und 2024 bei deutschen Sicherheitsbehörden gemeldet und vor einer möglichen Gefährdung durch den mutmaßlichen Täter gewarnt haben. Demnach soll den Bundesnachrichtendienst (BND) eine Meldung aus Saudi-Arabien mit Verweis auf eine Social-Media-Äußerung des Mannes erreicht haben, in der dieser bereits im vergangenen Jahr etwas "Großes" in Deutschland angekündigt haben soll.
Die zuständigen Landesbehörden in Sachsen-Anhalt sollen diesem Hinweis nach Informationen von WDR, NDR und SZ nachgegangen sein - unklar ist bis dato, ob und was die Behörden daraufhin veranlasst haben.
"Isoliert und aggressiv"
Der 50-Jährige war kein Unbekannter in der Szene der Exil-Saudis. Im sozialen Netzwerk X folgten etwa 40.000 Menschen dem Account, der ihm zugeordnet wird. Er gab zudem zahlreichen deutschen und internationalen Medien Interviews über seine aktivistische Arbeit als Oppositioneller zum saudischen Königshaus.
Demnach agierte er als Ansprechpartner für Asylsuchende und kümmerte sich offenbar besonders um Frauen, die das Land verlassen wollten und im Ausland Asyl gesucht haben. WDR, NDR und SZ haben mit zwei saudischen Oppositionellen in Deutschland und Großbritannien sprechen können, die den mutmaßlichen Täter persönlich kannten. Diese beschreiben ihn als isoliert und aggressiv.
- Rechtsextreme Desinformation über Anschlag
Unterstützung für die AfD
Einer dieser Bekannten berichtet, dass der mutmaßliche Täter ihm auch mindestens einmal berichtet habe, dass er die AfD unterstütze. Einer der Gesprächspartner, ein britischer Aktivist, berichtet, dass er überzeugt gewesen sei von Politikern, die sich weit rechtsaußen verorten. Spuren dieser Unterstützung finden sich auch im Netz, wie der Spiegel zuerst berichtet hatte.
Demnach äußerte er mehrfach, dass er die Politik der AfD unterstütze, folgte zahlreichen Accounts von AfD-Politikern und interagierte mit diesen. Einmal, 2016, will der Mann der AfD gar eine gemeinsame "Akademie" für ehemalige Muslime vorgeschlagen haben, wie er selbst auf seinem X-Account berichtet hatte. Wer sonst außer der AfD bekämpfe den Islam in Deutschland?, notierte er.
Einige seiner Posts aus jüngster Zeit erwecken den Eindruck, dass er sich vom deutschen Staat verfolgt gefühlt hatte. Wie WDR, NDR und SZ aus AfD-Parteikreisen hörten, sei er jedoch weder Spender der Partei noch Parteimitglied gewesen.