Umstrittene Justizreform Anfang vom Ende des liberalen Rechtsstaats?

Um seine Macht zu sichern, boxt Israels Premier Netanyahu die umstrittene Justizreform durch - gegen den Protest der Straße. Das könnte das Ende des liberalen und demokratischen Rechtsstaats bedeuten, meint Jan-Christoph Kitzler.

Demonstranten in Israel
Demonstranten in Israel Bild © AP
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Seit seiner Gründung vor 75 Jahren war der Staat Israel ein großes Versprechen: Er sollte den vom Holocaust verfolgten Juden eine Heimat bieten. Und er sollte in einer umkämpften Region ein Vorbild für Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sein. So wurde der Staat Israel zu einer beispiellosen Erfolgsgeschichte.

Doch die Grundfrage blieb jahrzehntelang ungeklärt. Kann es einen jüdischen Staat geben, der gleichzeitig eine Demokratie ist? Bis vor einiger Zeit konnte man diese Frage mit "ja" beantworten. Israel war immer ein Staat, in dem Minderheiten ihren Platz hatten, in dem es Meinungsfreiheit und Diskurs gab. Ein Land, das es auf bewundernswerte Weise geschafft hat, Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft zu integrieren.

Extreme Kräfte vs. Demokratie

Doch hat auch der zweite Teil des genannten Versprechens eine Zukunft? Das Handeln der amtierenden Regierung um Benjamin Netanyahu lässt einen zweifeln. Auch wenn es eine Vorgeschichte gibt.

"Jüdisch" und "demokratisch" - das scheint im Staat Israel immer weniger zusammen zu passen: Dafür stehen die nationalreligiösen, rechtsextremen Kräfte, mit denen Netanyahu regiert. Ihre Idee von Israel gründet nicht auf freiheitlich-demokratischen Prinzipien, sondern in einer messianischen, vorstaatlichen Vorstellung vom gelobten Land.

Ultrareligiöse Kräfte mit wachsendem politischen Einfluss

Umgesetzt wird es politisch im Ausbau der Siedlungen in den besetzen palästinensischen Gebieten und durch eine Reihe von Initiativen, die die jüdische Vorherrschaft auf allen Ebenen zementieren sollen. Für Minderheiten bleibt da wenig Platz.

Dafür stehen auch die ultrareligiösen Kräfte in der Regierung. Sie haben keinen großen Anteil an der Wirtschaftskraft Israels und tragen auch nichts zu Israels bedrohter Sicherheit bei - weil sie sich meist dem Militärdienst entziehen. Ihr Hauptinteresse ist es, möglichst viel staatliches Geld für ihre Klientel zu sichern. Die dankt es mit einer extrem hohen Geburtenrate, die wachsenden politischen Einfluss garantiert.

Netanyahu entmachtet die Justiz im Land

Beiden extremen Kräften war der Oberste Gerichtshof ein Dorn im Auge. Denn immer wieder hat er mit seinen Urteilen Minderheiten geschützt, Ultrareligiöse in die Pflicht genommen und jüdischen Terrorismus verurteilt. Beide extremen Kräfte sind nicht die Mehrheit - aber sie haben Israel in Geiselhaft genommen.

Und das liegt an Benjamin Netanyahu, der sich ihnen politisch ausgeliefert hat, um seine Macht zu sichern. Er nimmt es nun in Kauf, dass die Justiz des Landes entmachtet wird, die bisher der Garant für das Versprechen eines jüdisch-demokratischen Staates Israel war.

Justizreform zeugt nicht von Netanyahus Stärke

Netanyahus Regierungskoalition hat einen wichtigen Teil der Justizreform gegen den Widerstand von Millionen Israelis und trotz großen auch internationalen Drucks durch das Parlament gebracht. Das sieht aus wie ein Zeichen der Stärke - tatsächlich offenbart es aber die politische Schwäche von Netanyahu, der den Rechtsstaat schleift, um an der Macht zu bleiben.

Das ist persönlich bedauernswert - für den Staat Israel ist das aber sogar eine Tragödie. Die nun beschlossene Schwächung der Justiz könnte der Anfang vom Ende sein. Vom liberalen und demokratischen Rechtsstaat, den wir bisher kannten - und von dem großen Versprechen, das Israel einmal war.

Den Originalbeitrag finden Sie auf tagesschau.de

Quelle: tagesschau.de