Vor Treffen der EU-Innenminister Ampelparteien uneins über EU-Asylreform

Die EU will den Asylanspruch bereits an den Außengrenzen prüfen. Die Bundesregierung pocht vor den anstehenden Beratungen auf weitere Ausnahmen für Kinder und Familien. Das stößt auf Widerspruch - auch von Seiten der FDP.

Das deutsche Seenotrettungsschiff «Humanity 1» ist im Mittelmeer im Einsatz.
Das deutsche Seenotrettungsschiff «Humanity 1» ist im Mittelmeer im Einsatz. Bild © dpa
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Am Donnerstag beraten die EU-Innenminister in Luxemburg über die seit Jahren strittige Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Es geht unter anderem um die Frage, ob es Vorprüfungen von Asylanträgen schon an den EU-Außengrenzen geben soll.

Die Bundesregierung will laut Außenministerin Annalena Baerbock und Familienministerin Lisa Paus (beide Grüne) durchsetzen, dass Minderjährige unter 18 und Familien mit Kindern diese Verfahren nicht durchlaufen müssen.

Im Ursprungsvorschlag der EU-Kommission heißt es lediglich, dass "unbegleitete Kinder und Kinder unter zwölf Jahren mit ihren Familienangehörigen sind vom Grenzverfahren ausgenommen, sofern keine Sicherheitsbedenken bestehen."

  • Ministerium will Seenotrettung offenbar einschränken

FDP sieht Einigung in Europa gefährdet

Das Bemühen der Bundesregierung die Altersgrenze auf 18 anzuheben stößt auf Widerstand bei der oppositionellen Union - aber auch bei der Regierungspartei FDP. Deren Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sprach sich im Berliner "Tagesspiegel" für eine menschenwürdige Versorgung aller Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen und ein effizientes Asylverfahren aus: "Wenn diese Regeln gelten, dann braucht es auch keine Debatte zu möglichen Ausnahmen, die eine Einigung in Europa wieder nur gefährden würden."

Der Parlamentsgeschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), sagte demselben Blatt, die Regierung versuche, den Ursprungsvorschlag der EU-Kommission "an verschiedenen Stellen weiter aufzuweichen". Gegen Ausnahmen hatte sich auch FDP-Fraktionschef Christian Dürr ausgesprochen.

  • "Keine Einigung um jeden Preis"

CDU für überparteiliche Kommission

CDU-Generalsekretär Mario Czaja hat sich hinter die Forderung nach einer überparteilichen Kommission zur Begrenzung der Migration gestellt. Czaja sagte im Bericht aus Berlin, "es ist im Grunde ein weiterer Hilferuf aus dem Land."

Zuvor hatte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) angeregt, dass eine überparteiliche Kommission einen Vorschlag für eine neue Asylpolitik entwickelt. Czaja sagte dazu dem Bericht aus Berlin: "Es wäre an der Zeit, mit den Grünen und der SPD und der FDP parteiübergreifend hier über Maßnahmen zur Begrenzung zu sprechen."

Baerbock will in Brüssel "hart verhandeln"

Baerbock erklärte in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, der Vorschlag der EU-Kommission sei die einzige Chance, auf absehbare Zeit zu einem "geordneten und humanen Verteilungsverfahren" zu kommen. "Deshalb verhandeln wir in Brüssel hart, um sicherzustellen, dass niemand länger als einige Wochen im Grenzverfahren stecken bleibt, dass Familien mit Kindern nicht ins Grenzverfahren kommen, dass das Recht auf Asyl im Kern nicht ausgehöhlt wird."

Paus sagte der Nachrichtenagentur dpa: "Kinder unter 18 Jahren in Grenzverfahren und damit in eine höchst prekäre Situation zu schicken, würde eine enorme Kindeswohlgefährdung bedeuten." Sie sprach vom Risiko einer erneuten Traumatisierung. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann sagte Funke, viele EU-Länder wollten den Vorschlag der Kommission noch restriktiver machen. "Da halten wir dagegen."

  • Faeser sieht Chance für Asyl-Durchbruch

Faeser warnt vor Ende des Schengen-Raums

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) unterstützte im "Handelsblatt" erneut das Vorhaben von Grenzverfahren und sagte lediglich: "Kinder und andere vulnerable Gruppen wollen wir besonders schützen."

Für den Fall, dass es keine EU-Asylreform gibt, prophezeite sie ein Ende des kontrollfreien Schengen-Raums: "Anderenfalls droht eine Rückkehr der Schlagbäume an vielen europäischen Binnengrenzen - und die Menschen und die Wirtschaft in der EU wären um Jahrzehnte zurückgeworfen."

  • "EU schlafwandelt in neue Migrationskrise"

EVP-Chef Weber will Schiffe der Bundespolizei schicken

Der Chef der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber (CSU), verteidigte im Allgemeinen die Idee von Asylverfahren an den Grenzen. In der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sprach er sich zugleich dafür aus, dass die Bundespolizei Schiffe ins Mittelmeer schickt, um in Seenot geratene Menschen zu retten - wie früher bei der EU-Marinemission "Sophia".

Dem widersprach Webers Unionskollege Frei: "Je mehr Schiffe im Mittelmeer zur Rettung unterwegs sind, desto mehr Menschen machen sich mit seeuntauglichen Booten auf den gefährlichen Weg und bringen sich in Lebensgefahr."

Prominente appellieren an Bundesregierung

Währenddessen sprachen sich Dutzende Schauspieler, Musiker und andere Prominente in einem offenen Brief an die Bundesregierung gegen eine Verschärfung der Asylpolitik etwa mit Grenzverfahren aus. Als Unterzeichner des Internetaufrufs wurden unter anderem Herbert Grönemeyer, die Bands Kraftklub und Revolverheld, die Schauspieler Katja Riemann und Benno Fürmann sowie Fernsehmoderatoren wie Klaas Heufer-Umlauf und Ruth Moschner aufgelistet.

Der Regierung wird im Schreiben vorgeworfen, statt versprochener Verbesserungen "nun den massivsten EU-Asylrechtsverschärfungen jemals" zustimmen zu wollen.

  • Italien setzt zwei deutsche Rettungsschiffe fest

50.000 Migranten erreichten dieses Jahr Italien

Hintergrund der EU-Beratungen sind die gestiegenen Migrantenzahlen. Seit Monaten versuchen sehr viele Menschen, von Nordafrika über das Mittelmeer Süditalien zu erreichen. Nach Angaben aus Rom kamen seit Januar mehr als 50.000 Migranten auf Booten nach Italien.

Dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zufolge starben seit Jahresanfang bei Überfahrten mehr als 980 Menschen oder werden seither vermisst. In Deutschland wurden in den ersten vier Monaten dieses Jahres gut 100.000 Erstanträge auf Asyl vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entgegengenommen, eine Zunahme um rund 78 Prozent.

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Quelle: tagesschau.de