Doku-Reihe in der ARD Mediathek: „Alles außer Kartoffeln: Menschen. Küche. Heimat.“

Die Doku-Reihe „Alles außer Kartoffeln: Menschen. Küche. Heimat.“ erzählt in sechs Folgen persönliche Geschichten von Restaurantbesitzerinnen und Restaurantbesitzern mit Migrationshintergrund, die mit ihren Gerichten aus ihren Herkunftsländern ein Stück Identität nach Deutschland mitgenommen haben und die Gastronomie bereichern. Die 30-minütigen Folgen sind vom 10. September an in der ARD Mediathek zu sehen. Ausführliche Informationen gibt es hier schon vorab.

: Protogonistinnen und Protagonisten der hr-Doku „Alles außer Kartoffeln: Menschen. Küche. Heimat.“
Bild © hr

Über die Idee zur Doku

Auf unserer Zunge begegnet der Körper der Welt. Erfährt sie, und teilt sich ihr mit. Eine Brücke zwischen Innen und Außen. Am Essen zeigt sich, was den Menschen ausmacht. Essen ist für die meisten Menschen immer auch Heimat: Identifikation. Die Doku-Reihe „Alles außer Kartoffeln: Menschen. Küche. Heimat.“ möchte davon erzählen: von den Mahlzeiten, mit denen wir aufwachsen, nach denen wir uns sehnen. Und von den Menschen, die sie zubereiten. Portätiert. Die Autorinnen und Autoren porträtieren Köchinnen und Köche in Deutschland mit Einwanderungsgeschichte. Menschen, die das Leben in Deutschland, jenseits – beziehungsweise längst inmitten – der Mehrheitsgesellschaft abbilden. Bei denen das Kochen sinnlicher Dreh- und Angelpunkt einer Biographie ist und Teil unserer eigenen Kultur, die es beeinflusst, bereichert und befördert.

Über die Menschen, ihre Küche und ihre Heimat

Sechs Restaurantbesitzerinnnen und Restaurantbesitzer mit Migrationshintergrund, die erfolgreich die Gerichte ihrer Herkunftsländer kochen, stehen im Mittelpunkt der aufwändigen Dokumentationsreihe. Es sind Nir Rosenfeld (Israel), Souad Rais El Kertoubi (Marokko), Prateek Reen (Indien), Hsien-Kuo und Ido Ting (Taiwan), Natia Torchinava (Georgien) und Bubacarr Sissoho (Gambia). Zentral ist ihre Reise ins jeweilige Ursprungsland, die für sie mit offenen Fragen und Emotionen verbunden war.

Frankfurt – Conflict Kitchen: Nir Rosenfelds Traum von Frieden (hr)

Nir Rosenfeld.
Nir Rosenfeld. Bild © hr

Vier israelische Restaurants leitet Nir Rosenfeld mittlerweile, darunter das „Life Deli" im jüdischen Museum und das Kuli Alma im Frankfurter Nordend. Der 53-Jährige hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, Frankfurt vegan zu machen. Dafür kämpft er auch mal mit Plakaten vor Schlachthäusern und unterstützt Lebenshöfe mit Spendenaktionen.

Nir Rosenfeld.
Nir Rosenfeld. Bild © hr

Eine Welt ohne Tierleid, das war das größte Ziel – doch dann kam der 7. Oktober 2023. Nach dem Terror-Angriff der Hamas in seinem Geburtsland Israel ging es plötzlich nicht mehr um gequälte Tiere, sondern um getötete Frauen und Kinder. Auf beiden Seiten: Der Krieg in Gaza sowie das Leid der israelischen Geiseln hat auch Nir Rosenfelds Leben beeinflusst. Das Foto eines der entführten Opfer hängt in jedem seiner Restaurants, es ist der Neffe einer seiner besten Freundinnen.

Hummus mit Falafel.
Hummus mit Falafel. Bild © hr

Und auch die antisemitischen Anfeindungen sind plötzlich wieder da. Er bekommt Hass-Mails und Drohungen. Auf Bewertungs-Seiten im Internet wird diskutiert, ob es „israelische Küche" überhaupt gibt und ob das Essen aus der Region nicht eher palästinensisch sei. Und plötzlich sind die alten Konflikte des Nahen Ostens und die sehr privaten Ängste wieder da.

Die alte Heimat im Krieg, die neue Heimat voller Anfeindungen – wie geht man damit um? Und wie kann man gegen den Hass ankämpfen? Nir Rosenfeld will in Frankfurt bleiben, sich weiterhin für Verständigung einsetzen. Er hat für seine Restaurants ein Halal-Zertifikat ausgestellt bekommen, denn vegane Küche entspricht auch den Speisegesetzen von Muslimen und Juden gleichermaßen. Ein Anfang für eine neue Verständigung?

Souads Sehnsucht und die Küche Marokkos (hr)

Als Familie El Kertoubi ihren Gemüseladen an der Mathildenhöhe in Darmstadt in eine traditionelle Tajinerie verwandelt, sind die Nachbarn skeptisch: Ein Restaurant ohne Alkohol, das wird „hier" nicht laufen. Doch mittlerweile läuft die älteste Tajinerie Deutschlands seit über 30 Jahren. Den Grundstein für das Restaurant hat Souad Rias gelegt: Mit 18 Jahren, kurz nach der Heirat, ist sie aus Tanger nach Deutschland gekommen.

Souad Rais El Kertoubi und ihr Mann Ahmed El Kertoubi.
Souad Rais El Kertoubi und ihr Mann Ahmed El Kertoubi. Bild © hr

Kochen hat sie von ihrer Mutter gelernt. Von ihr hat sie auch das Rezept für das Ras El-Hanout bekommen, eine Gewürzmischung, die in Marokko nicht selten über Generationen weitergegeben und gehütet wird. Dafür reist die Familie regelmäßig zu ihrem Gewürzhändler in Tanger, dem Einzigen, der die geheime Familienrezeptur kennt.

Souad Rais El Kertoubi und ihr Mann Ahmed El Kertoubi.
Souad Rais El Kertoubi und ihr Mann Ahmed El Kertoubi. Bild © hr

Die Tajinierie ist ein Familienbetrieb. Nach fast allen Geschwistern hat nun der Jüngste, Anas El Kertoubi, das Zepter für das Restaurant übernommen. Er lebt in zwei Welten, hält sich an die Regeln des Ramadan und andere muslimische Traditionen, ist aber nicht so streng gläubig wie seine Eltern.

Marokkanisches Gericht.
Marokkanisches Gericht. Bild © hr

Doch er hadert auch mit der Frage, ob er diesen Laden, den seine Mutter als ihr sechstes und jüngstes Kind ansieht, bis zum Ende seines Lebens führen soll. Lebt er den Traum seiner Mutter weiter oder kann er sich selbst auch verwirklichen?

München – Madam Chutney und der Geschmack von Freiheit (BR)

Köchin Prateek Reen in ihrer Küche.
Köchin Prateek Reen in ihrer Küche. Bild © hr/BR/Paul-Georg Busse

Prateek Reen (35) zog eigentlich wegen eines Marketing-Jobs aus einem Bergdorf im Himalaya nach München. Doch im Büro war sie unglücklich und in der Stadt vermisste sie die Gerüche Kolkatas und die Gewürze Mumbais. Jeden Abend brachte sie sich zu Hause selbst bei, wie man auf Indiens Straßen kocht.

Köchin Prateek Reen zu Besuch in Indien.
Köchin Prateek Reen zu Besuch in Indien. Bild © hr/BR/Paul-Georg Busse

Irgendwann konnte sie genug, um ihren Job hinzuschmeißen und das „Madam Chutney" zu eröffnen. Sie lässt Köche aus Indien einfliegen, die nach ihren Rezepten die Gerichte zubereiten.

Indisches Gericht.
Indisches Gericht. Bild © hr/BR/Paul-Georg Busse


Gerade will sie ihr zweites Restaurant in München eröffnen. Und träumt davon, in Deutschland richtig anzukommen: die Sprache perfekt zu lernen, deutsche Freunde zu haben. Es ist ein langer Weg, aber sie nimmt die Herausforderung an.

Berlin – Die geheimen Rezepte der Familie Ting (BR)

Restaurantbesitzer Hsien-Kuo Ting in der Suppenküche.
Restaurantbesitzer Hsien-Kuo Ting in der Suppenküche. Bild © hr/BR/Robin Worms

Die Nudelsuppenküche von Familie Ting auf Berlins Kantstraße ist kaum zu übersehen. Vor der Tür wartet stets eine Traube Menschen daraut, einen Platz in „Lon Men's Noodle House" zu ergattern. Die taiwanesische Nudelsuppe ist das, was Herr Ting in Deutschland nie finden konnte: der Geschmack seiner Kindheit.

Restaurantbesitzer Hsien-Kuo Ting mit seiner Familie beim Picknick im Lietzenseepark in Berlin.
Restaurantbesitzer Hsien-Kuo Ting mit seiner Familie beim Picknick im Lietzenseepark in Berlin. Bild © hr/BR/Robin Worms

Die Seele der Suppe ist die Brühe, intensiv und würzig, kraftspendend wie Miraculix' Zaubertrank. Genauso geheim ist ihr Rezept. Es kennt nur Frau Ting, die es hütet „als wäre es das Rezept für Coca Cola", sagt Hsien-Kuo Ting. Er kam 1968 mit seinen Eltern nach Berlin. Der Vater hatte zwei Jahre als Leibkoch des saudi-arabischen Königs gearbeitet und so genug Geld für die Reise nach Europa gespart. Hsien war dreizehn, konnte kein Deutsch, kein Englisch. Mittlerweile ist er in Berlin angekommen, versteht sich mit allen Händlern der Umgebung.

Taiwanesisches Gericht.
Taiwanesisches Gericht. Bild © hr/BR/Robin Worms

„Ohne Fleiß kein Reis", so seine Parole, die er auch an seinen Sohn weitergeben möchte. Denn dieser soll das Noodle House übernehmen. Um zu schauen, ob die Staffelübergabe ein Erfolg ist, reisen Vater und Sohn nach Talwan und befragen die Götter. Auf der Reise bemerken sie aber auch die Anspannung, die in ihrer alten Heimat zu spüren ist: die Sorge, das Taiwan von China eingenommen wird. Dieser Konflikt würde auch in Deutschland für Probleme sorgen: viele Köche in der Ting'schen Suppenküche sind Festlandchinesen.

Düsseldorf – Mit Natias Khinkalis nach Europa (WDR)

Köchin Natia Torchinava aus Georgien.
Köchin Natia Torchinava aus Georgien. Bild © WDR

Georgische Restaurants sind ein neuer Trend in Deutschland - und eines der erfolgreichsten gehört Natia Torchinava. Die 27-Jährige eröffnete ihr Restaurant „So Re" während der Corona-Pandemie, mit zwei Angestellten im Alleingang. Mittlerweile hat sie 15 Angestellte, steht aber immer noch selbst an vier Tagen die Woche in der Küche.

Köchin Natia Torchinava aus Georgien.
Köchin Natia Torchinava aus Georgien. Bild © WDR

Das Kochen und Betreiben eines Restaurants ist für sie weit mehr als das Verdienen des Lebensunterhalts: Sie versteht sich auch als Botschafterin ihres Landes, will es bekannt machen und auch dadurch dafür sorgen, dass sich der Lebensstandard in Georgien verbessert. Ihr größter Traum ist es, dass Georgien eines Tages Teil der Europäischen Union wird.

Khinkali – georgische Teigtaschen.
Khinkali – georgische Teigtaschen. Bild © WDR

Deshalb bringt sie mit ihrer Küche die Kultur der alten Heimat näher, die von den Küsten des Schwarzen Meeres bis ins kaukasische Hochgebirge reicht. Etwa das Supra, ein traditionelles georgisches Festmahl, zu dem auch ein Conférencier oder „Tamada" gehört. Und sie klärt auf. Zum Beispiel darüber, dass Georgien als Wiege des Weinanbaus gilt. Über 500 einheimische Trauben sind erfasst. Viele Winzer suchen in ihren Weinbergen oder in der Wildnis nach verlorenen Rebsorten und züchten sie wieder auf.

Saarbrücken – Gambia im Topf: Bubacarrs Streetfood (SR)

Bubacarr Sissoho in Saarbrücken.
Bubacarr Sissoho in Saarbrücken. Bild © hr/SR/Andreas Michaelis

Mit seinem Foodtruck bringt Bubbacar Sissoho afrikanische Küche nach Deutschland. Vor allem aus seiner Heimat Gambia. Dort war „Buba" ein erfolgreicher Goldschmied. Doch als er der Liebe wegen nach Deutschland zog, durfte er hier den Beruf nicht mehr ausüben. Er wurde zum Tausendsassa, arbeitete als Lagerist, DJ, spielte in einer Band, ließ sich zum Krankenpfleger ausbilden.

Bubacarr Sissoho in Tanji (Gambia).
Bubacarr Sissoho in Tanji (Gambia). Bild © hr/SR/Robin Worms

Mittlerweile verkauft er unter seinem Label „Jatta Food International" beliebte afrikanische Speisen wie Fufu oder Chicken mit Domoda-Sauce - eine Spezialität aus seiner gambischen Heimat. Dorthin reist er regelmäßig, um seine Familie zu besuchen und Inspirationen für sein Street Food zu finden. Der Blick in die Kochtöpfe wird dann ausnahmsweise geduldet. „Männer in Gambia kochen nicht. Das ist dort klassische Frauen-Aufgabe." Er hat mit diesen alten Rollen gebrochen - und das sehr erfolgreich.

Grilled chicken mit Domoda-Sauce.
Grilled chicken mit Domoda-Sauce. Bild © hr/SR/Andreas Michaelis

Inzwischen lebt er von seinem Food Truck, hat den European Street Food Award gewonnen. Außerdem besitzt er die deutsche Staatsbürgerschaft. Und dennoch wird er immer wieder mit Rassismus konfrontiert, den er mit Humor zu bekämpfen versucht. Deutschland sei mittlerweile seine Heimat, sagt der 48-Jährige.

Quelle: WDR, BR, SR und hr